

ESSAY VON DR. MICHAEL INACKER
Arbeit im Wandel WIE SICH ARBEIT VERÄNDERT
Wir stecken mitten in einem bedeutenden Wandel – Industrie 4.0 und die Digitalisierung haben mittlerweile nicht nur unseren Alltag erreicht, sondern werden die Arbeitswelt der Zukunft tiefgehend prägen. Aber was genau wird auf uns zukommen?
Die neue Arbeitswelt wird eine protestantische. Nicht im Sinne von: Die Arbeit steht über allem und gelacht wird im Keller. Nein, die neue Arbeitswelt wird die Prinzipien von Freiheit und Verantwortung stärken – und damit eben nicht das Gleichgewicht zulasten der Mitarbeiter verschieben. Das, was man im Zusammenhang mit der Hartz-IV-Politik früher despektierlich „Ich-AG“ bezeichnet hat, wird zum ehrenvollen Prinzip einer neuen Wirklichkeit im beruflichen Alltag. Neue Kommunikationsmethoden, flache Hierarchien in den Unternehmen und fließend wechselnde Geschäftsmodelle machen aus dem Arbeit-„Nehmer“ einen Arbeit-„Gestalter“. In dieser neuen Wirklichkeit wird der Mitarbeiter ebenso großen Einfluss auf die Arbeitswelt nehmen wie diese auf ihn.
Doch wie in der religiösen Sphäre des Protestantismus setzt auch diese eher protestantische Arbeitswelt eine starke Persönlichkeit voraus. Es ist nicht eine zentrale Institution (wie beispielsweise der Papst), die Sinn, Zweck und Form der Arbeit vorgibt, sondern der Mensch wird mehr und mehr seines eigenen Arbeits-Glückes Schmied.
Eine neue Studie der Personalberatung Clevis, die eine Umfrage unter rund 4.600 Praktikanten und Werkstudenten durchgeführt hat, zeigt die deutliche Veränderung insbesondere in der jüngeren Generation, der sogenannten Generation Z. Mit dieser Alterskohorte erreicht die „Generation Greta“ den Arbeitsmarkt, folgert die Personalberatung für die Unternehmen: „Sie müssen sich darauf einstellen, dass sie von den Future Talents während der Jobsuche auch auf Basis ihres sozialen Impacts bewertet und ausgewählt werden.“
Laut einem Bericht der Tageszeitung „Die Welt“ unterscheidet sich die junge, neue Generation Z – also die Jugendlichen, die seit 1995 geboren wurden – hinsichtlich ihrer Haltung zur Arbeitswelt deutlich von der Vorgängergeneration, den sogenannten Millennials. Früher sei ein Unternehmen stark nach seiner Geschichte und bisherigen Erfolgen beurteilt worden. Das habe sich geändert. „Tradition und Historie eines Unternehmens sind der Generation Z ziemlich egal. Eine ökologische Ausrichtung und eine sinnstiftende Erzählung haben inzwischen eine deutlich höhere Bedeutung in der Bewertung eines potenziellen Arbeitgebers als früher.“
Daran erkennt man, dass nicht nur neue technische Errungenschaften – wie zum Beispiel die Digitalisierung und die Social Media-Kommunikation – Einfluss auf die Gestaltung der Arbeitswelt haben, sondern auch die junge Generation selbst. Viele Arbeitgeber berichten inzwischen über das extrem selbstbewusste Auftreten der Generation Z. Dass diese jungen Menschen so selbstbewusst auftreten, liegt auch daran, dass sie in einer Zeit aufgewachsen sind, in der Arbeitgeber nicht mehr zwischen sehr vielen Kandidaten wählen können. Jetzt ist es so, dass die jüngeren Mitarbeiter einen Job im vollen Bewusstsein antreten, dass die Unternehmen sie brauchen und sie deshalb auch mehr fordern können.
Keine Horrorszenarien
Nicht nur diese Beobachtung, sondern auch konkrete Erfahrungen aus digitalen Fabriken zeigen, dass die Horrorszenarien – die Digitalisierung werde zu einem Anstieg von Arbeitslosigkeit und letztlich auch Entfremdung von der Arbeit führen – nicht zutreffend sind. Im Siemens-Elektronikwerk in Amberg beispielsweise bewältigen drei Viertel der Arbeit Maschinen und Computer eigenständig, nur um das restliche Viertel kümmern sich Menschen. Dabei ist die Jobbilanz des Werkes durchaus interessant. Denn: Die Beschäftigtenzahl in Amberg liegt seit vielen Jahren stabil bei etwa 1.200 – und das obwohl sich das Produktionsvolumen verachtfacht hat. Die ökonomische Theorie und manche Vorurteile hätten normalerweise etwas anderes nahegelegt: dass weniger Mitarbeiter nötig sind, wenn die Produktivität steigt. Laut einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ zeigt aber die Praxis bei Siemens in Amberg etwas anderes: Die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine ist zwar eine andere als die zwischen Menschen – aber, so schreibt die SZ, „es bleibt der Mensch, der die Dinge mit all seiner Erfahrung und notfalls auch mal irrational vorantreibt. Maschinen werden das noch auf lange Zeit nicht komplett adaptieren können.“ Zwischen Technik und Mensch bleibt das Ergebnis in der neuen Arbeitswelt unentschieden – vorausgesetzt, wir Menschen sind uns unserer Stärken bewusst.
Dr. Michael Inacker, verheiratet, zwei Kinder, ist seit 2015 Vorstandsvorsitzender der WMP EuroCom AG. Zuvor hatte er diverse Führungsaufgaben in Politik, Medien und Wirtschaft inne: Leitender Redakteur der WELT am Sonntag; Mitbegründer der FAZ-Sonntagszeitung und Leiter des Hauptstadtbüros; Mitglied der Chefredaktionen von WirtschaftsWoche und Handelsblatt. Er war Stabschef des Vorstandsvorsitzenden und Bereichsleiter für Politik und Außenbeziehungen der Daimler AG sowie Senior Vice President für Kommunikation und Politik der Metro AG. Michael Inacker ist Mitglied des KCF-Trägerkreises.
Drei Fragen an Dr. Michael Inacker
1MIT WELCHEM SATZ WÜRDEN SIE SICH BESCHREIBEN? – MIT WELCHEM EINZIGEN WORT?
„Das Eigentliche der Tapferkeit ist das Standhalten, nicht der Angriff.“ (Thomas von Aquin) Neugierig
2 MIT WELCHEN 3 THEMENBEREICHEN WERDEN SICH DEUTSCHE UNTER-NEHMEN IM NEUEN JAHRZEHNT AM MEISTEN BESCHÄFTIGEN MÜSSEN?
– Da inzwischen der Börsenwert von Apple genauso groß ist wie der komplette deutsche Unternehmensleitindex Dax, müssen sich die deutschen Unternehmen mit ihrer permanenten Neuerfindung befassen. Das Prinzip einer einmaligen Restrukturierung – und dann ist Ruhe – funktioniert nicht mehr. Alle fünf Jahre muss man das eigene Geschäftsmodell komplett auf den Prüfstand stellen.
– Unternehmen werden nicht nur wegen ihrer operativen Leistung hinterfragt, sondern sehen sich wachsender poli-tisch-gesellschaftlicher Kritik ausgesetzt. Nicht nur der CEO, sondern auch das Top-Management brauchen eine „soziale Haut“ – sie müssen die Fähigkeit zum Dialog mit der Gesellschaft haben, um Akzeptanz zu finden.
– Kunden werden – auch durch die wachsende Bedeutung von Social Media – zu mächtigen Gegenspielern. Eine einseitige Geschäftsbeziehung, bei der das Unternehmen dem Kunden vorgibt, was er wollen soll, ist vorbei. Eine Kundenorientierung auf Basis von Gleichberechtigung ist unabdingbar.
3WAS TREIBT SIE AN, WAS IST IHR ANLIEGEN FÜRS NEUE JAHRZEHNT?
– Das eine Leben, das wir haben, in ein gesundes Verhältnis zu bringen zwischen protestantischer Berufsethik, der Verantwortung für das Wohl des Unternehmens und seiner Mitarbeiter einerseits und der Verantwortung für die Zukunft meiner Ehe und Familie andererseits.
– Die soziale Marktwirtschaft im digitalen und globalen Zeitalter lebensfähig zu erhalten und wieder attraktiv zu machen.